Zwischen uns ein ganzes Leben von Melanie Levensohn [Rezension]

Zwischen uns ein ganzes Leben von Melanie Levensohn [Rezension]

Es gibt Bücher die ich lese um mich zu unterhalten, um abzuschalten vom Alltag. Dann wiederum gibt es Bücher, die ich nicht nur zum Vergnügen lese, sondern weil ich weiß, dass Sie in mir etwas anrühren, mich zum Nachdenken bringen.

Zu diesen Büchern zähle ich “Zwischen uns ein ganzes Leben”. Ein Buch, das aktuell ist, das jeden betreffen kann, entweder selbst oder im Umfeld. Und doch ist es einfach eine Geschichte….

Beatrice, eine junge und erfolgreiche Frau, die ihren Wunschberuf dort ausüben kann, wo sie immer hinwollte: bei der Weltbank. Doch die Erfüllung ihres Traumes, verläuft nicht so, wie sie es sich erhofft hat. Statt als PR-Managerin ärmeren Ländern zu helfen, findet sie sich in einem Karriere-Haifisch-Becken wieder, in dem die Entwicklungshilfe eher Nebensache ist, und es vorrangig um die eigene Karriere geht. Auch Beatrice spielt dieses Spiel mit, hat in Michael aber einen Chef, dem sie im Wege ist und der sie mit seinen Aufgabenforderungen drangsaliert und sie so dazu bringt Fehler zu machen.
Aber auch im Privatleben läuft es nicht rund. Joaquin, der Mann an ihrer Seite, steht nur selten zu Ihr. Entweder geht seine Arbeit vor oder er stellt die Bedürfnisse und Launen seiner pubertären Tochter über die von Beatrice bzw. deren Zweisamkeit.
Erst als Beatrice Lena kennenlernt, eine ehrenamtliche Sozialarbeiterin, gewinnt sie einen anderen Blick auf das Leben und auf Lebensprioritäten. Spontan beschließt Beatrice Lena zu untersützen und fängt an sich um Jacobina zu kümmern.
Jacobina, nicht nur alt und einsam, sondern auch durch ein bislang nicht eingehaltenes Versprechen mit einem schlechtem Gewissen durchs Leben vegetierend, bildet einen Gegensatz zu der aktuellen Lebenswelt von Beatrice. Jacobina bittet Beatrice ihr zu helfen dieses Versprechen zu halten und sie bei der Suche nach Ihrer Halbschwester Judith zu unterstützen Judith, eine französische Jüdin, deren Spuren sich verlieren, als sie im Paris des zweiten Weltkriegs statt mit  ihrer großen Liebe Christian vor dem Nazi-Regime zu  fliehen plötzlich verschwand.

Eine starkes Buch mit starken Frauen, deren Lebenswege und -welten nicht unterschiedlicher sein könnten. Geprägt durch ihre jeweilige Zeit ist deren Leben und Handeln nah. Vergangenes, wie das Vichy-Regime in Frankreich ist durch Judith greifbar, die Atmosphäre der damaligen Zeit spürbar.

Gegensätzlich dazu Beatrice, eine moderne Karrierefrau. Ein Lebensweg dem viele heute nachstreben: guter Job mit hohen Verdienst, Leben im hier und jetzt mit allen Vergnügungen. Doch wie nebenbei schafft die Autorin es mit anderen Figuren, man kann sagen Nebenfiguren, die die Geschichte nur streifen andere Lebensentwürfe zu zeigen. Das Scheitern oder weniger Glück haben im Leben. Dazu gehört auch, dass sich einige auf die oder andere Art aufgegeben haben, während Andere aus Widrigkeiten mit großer Stärke hervorgehen.

Die Liebesgeschichte(n) ziehen sich zwar wie ein roter Faden durch das Buch, doch geht es hier vorrangig um die Beziehung der Menschen zueinander, wie geht man miteinander um. Und auch die Frage, ist es Liebe oder Gewohnheit? Doch spielt viel mehr das Miteinander eine Rolle, wie sehe ich andere Menschen und nehme sie wahr – erwächst daraus Freundschaft oder Liebe oder ist es einfach eine flüchtige Begegnung.

In dieser Geschichte, die in vielen Familien, sich ähnlich abspielt, zeigt sich, wie Ereignisse aus der Vergangenheit auch die heutige Zeit beeinflussen. Der Verlust von Familienangehörigen in der NS-Zeit, in einer solchen Atmosphäre gelebt zu haben, Soldat an der Front gewesen zu sein oder zu den Verfolgten gehört zu haben, prägte nicht nur in der Zeit bis 1945, sondern darüber hinaus bis in die heutige Zeit. Auch die Kinder und auch Enkelkinder wurden davon geprägt.

So eben auch Jacobina, deren Vater sein Leben lang daran getragen hat nicht zu wissen, was aus seiner anderen Tochter wurde. So zeigt für mich dieses hervorragend geschriebene Buch nicht nur ein Aspekt aus der Vergangenheit, sondern auch die langfristigen Auswirkungen. Dies im Hinterkopf sollte jeder haben, der sich mit den Menschen beschäftigt, die heute in unser Land kommen, denn nicht nur sie sind durch Ihre Erfahrungen geprägt, sondern geben auch diese weiter an die nächste Generation.

 

Melanie Levensohn (c) S. Fischer Verlag

 

Titel: Zwischen uns ein ganzes Leben
Autor: Melanie Levensohn
Verlag: S. Fischer
Format: Taschenbuch
Umfang: 416 Seiten
ISBN: 978-3-596-70271-8
Preis: 16,99 €
eBook: 14,99 €
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